Date

30.04.2016
Warum Krisen zu jeder gesunden Beziehung gehören
Die reinigende Wirkung intimer Nähe.

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Veröffentlicht auf Elephantjournal, 30. April 2016: https://www.elephantjournal.com/2016/04/why-crises-are-part-of-every-healthy-relationship-the-cleansing-effect-of-relational-proximity/

Liebe - ein Thema, dem niemand wirklich entkommen kann. Wir können es sehr wohl vermeiden, über Technik oder Landwirtschaft nachzudenken, wenn wir das wollen. Aber jeder von uns hat auf die eine oder andere Weise mit Liebe zu tun: entweder, weil wir sie genießen, oder weil wir mit ihr kämpfen, oder weil wir sie einfach vermissen.

Sich zu verlieben ist zweifellos eines der schönsten Erlebnisse in unserem Leben - dem Himmel so nah wie möglich... wenn es erwidert wird. Doch wie wir alle wissen, verwandelt sich dieser himmlische Zustand so leicht in eine Hölle.

Sowohl meine eigene, über 30 Jahre währende Ehe, als auch meine Arbeit als Berater und Coach haben mich gelehrt, dass Beziehungen bestimmten Gesetzen folgen. Obwohl es kein "Rezept für erfolgreiche Beziehungen" gibt, kann das Verständnis und die Beachtung dieser Prinzipien ein entscheidender Schritt zu einem glücklicheren Leben als Paar sein.

Ich habe festgestellt, dass einer der Hauptgründe für das Scheitern von Beziehungen falsche Erwartungen sind, die von Hollywood und den Medien im Allgemeinen stark gefördert werden. „Happily ever after“- Märchen vermitteln uns die Vorstellung, dass wir nur den „richtigen“ Partner finden müssen und dann einfach die Fahrt von Glücksmoment zu Glücksmoment genießen können. Wahrscheinlich ahnst Du bereits, was ich Dir jetzt sagen werde:

Sorry. Das ist eine Lüge.

Tatsache ist, wenn wir uns erst einmal gefunden haben, dann heißt es: Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit!

Bei Beziehungen geht es nicht in erster Linie um Spaß - das ist wichtig zu verstehen. Klar, Spaß wird in unserem gemeinsamen Leben immer eine wichtige Rolle spielen. Dieser wichtige Lebensquell ist auch der attraktive Treibstoff zu Beginn einer Beziehung, wenn Dopamin uns in diesem mühelosen Fluss zwischen Geben und Nehmen tanzen lässt.

Aber Liebesbeziehungen durchlaufen verschiedene Phasen; sich zu verlieben ist nur die erste. Der eigentliche Zweck unserer Beziehungsreise ist, meiner Meinung nach, ein liebevollerer Mensch zu werden, und das geht nur über innere Heilung und persönliches Wachstum. In unserem Bemühen um ein tieferes Verständnis und eine engere Verbindung sind wir ständig gefordert, unsere Komfortzone zu verlassen, zu hinterfragen und in Frage gestellt zu werden. Das kann Spaß machen und aufregend, aber auch verwirrend und schmerzhaft sein.

Um die Natur intimer Beziehungen zu verdeutlichen, verwende ich gerne die folgende Metapher:

Stellen Sie sich vor, Sie treffen die perfekte Person, schön, makellos, einfach und lustig. Sie verlieben sich ineinander. Sie geben Ihr "Ja" und ziehen zusammen. Überraschenderweise hat diese Nähe einen unerwarteten Effekt: Sie bringt irgendwie die "Beziehungstemperatur" in die Höhe, so dass all die unterschwelligen Dinge, die wir unbewusst in uns tragen, aktiviert werden. Plötzlich – pop - erscheint ein hässliches Furunkel auf Ihrer Stirn - groß, auffällig, nicht zu verbergen. Bald entwickelt Ihr Partner einen unangenehmen Ausschlag. Die große Verwirrung setzt ein. "Igitt! Was ist denn das? Nein, das war nicht Teil der Abmachung! Als ich Ja sagte, warst du perfekt, schön und makellos! Das gefällt mir nicht. Dein Ausschlag sieht furchtbar aus, und das Furunkel habe ich deinetwegen bekommen!" Und langsam aber sicher beginnt das fürchterliche Spiel der Schuldzuweisungen die Liebenden auseinander zu treiben.

Diese hässlichen Geschwüre und Ausschläge symbolisieren die Lasten, die wir alle mit uns herumtragen, Erfahrungen aus der Vergangenheit, Verletzungen aus der Kindheit, destruktive Familienmuster, was auch immer. All diese Dinge wollen an die Oberfläche kommen, und in der Sicherheit unserer intimen Beziehungen angenommen und geheilt werden.

Leider ist eine häufige Reaktion darauf, dass die Menschen anfangen, wegzulaufen, einfach weil sie diese unlustigen Erfahrungen als Beweis für ihre falsche Partnerwahl interpretieren. Sie trennen sich, lassen sich scheiden und nehmen ihre Suche nach Mr./Mrs. Perfect wieder auf.

Auf diese Weise aber stagniert das Wachstum unserer Beziehungsfähigkeit. Wir bleiben stehen auf einem unreifen, unbefriedigenden Niveau, entwickeln uns nicht weiter, und sehnen uns weiter nach der Tiefe einer Verbindung, die nur ein mutiges Dranbleiben und beharrliches Weitergehen entwickeln kann.

Es ist eine heikle Balance zwischen dem Leiden in einer Beziehung und dem Festhalten an der Vision eines gemeinsamen Lebens. Jede Reise ist anders, jedes Paar einzigartig. "Ist diese Beziehung den Schmerz wert?" Eine quälende Frage in Zeiten der Krise; die Suche nach einer Antwort wird oft als eine Wanderung im Nebel beschrieben. Solange wir unseren Partner auf die eine oder andere Weise respektieren, lassen wir uns in der Regel auf ihn ein. Nur die Zeit wird es zeigen.

Eine "dunkle Nacht" ist einfach... dunkel. Es gibt keine Garantie dafür, dass wir es gemeinsam schaffen werden. Die nackte Hoffnung hält uns aufrecht. Manchmal sind es äußere Umstände, die uns daran hindern, auf der Stelle wegzulaufen. Ich habe Paare erlebt, die unglaublich dankbar waren für diesen letzten Strohhalm, an den sie sich klammern konnten, als alles sie zu überzeugen schien, dass es vorbei ist. Sie hätten sich nie vorstellen können, welche Art von Liebe sie nach der Krise füreinander entwickelt haben, eine geläuterte Liebe, stärker und inniger als je zuvor.
Instinktiv wissen wir: wenn jemand auch in der dunklen Nacht nicht wegläuft, obwohl es da absolut nicht lustig ist, dann – und erst dann – ist diese Person mein Vertrauen wert. Diese Liebe hat bereits einen Test bestanden.

Wieviel wir als Paar aushalten können, hängt davon ab, wie unsere Beziehungen beschaffen sind. Ich habe beobachtet, dass bestimmte "Stränge" von Qualitäten unsere Beziehungsbelastbarkeit erhöhen, idealerweise wenn sie bei beiden Partnern vorhanden sind. Was uns daran mangelt, können wir durchaus im Laufe unserer Beziehungen entwickeln, wenn wir uns mutig den jeweiligen Herausforderungen stellen.

Meiner Erfahrungen nach hat sich Folgendes als hilfreich erwiesen:

Ein gutes Maß an ehrlicher Selbstreflexion: Ich habe eine klare Vorstellung davon, wer ich bin und woher ich komme.

Selbstakzeptanz: Ich bin mir meiner Stärken wie auch meiner Schwächen bewusst, und im Allgemeinen mit mir selbst im Reinen.

Demut: Ich kenne meine Grenzen. Ich kann Ratschläge annehmen und bitte bei Bedarf um Unterstützung.

Empathische Veranlagung: Ich sorge mich aufrichtig um das Wohlergehen anderer und freue mich, wenn ich helfen kann.

Die belebende Gabe der Vergebung: Ich vergebe großzügig und nehme Vergebung dankbar an - niemand ist perfekt.

Bereitschaft zu lebenslangem Lernen: leben heißt kontinuierlich zu wachsen; meine intime Beziehung ist sowohl Werkzeug wie auch Ziel dieser Reise.

Mut: Ich erkenne an, wie wichtig es für die Entwicklung echter Intimität ist, mich in meiner Verletzlichkeit zu zeigen.

Verantwortung für mein Verhalten übernehmen: Als Ausweg aus dem destruktiven Spiel der Schuldzuweisungen strebe ich nach wertschätzender und reflektierter Kommunikation, um so dem reaktiven Hick-Hack Einhalt zu gebieten.

Die Fähigkeit, Befriedigung hinauszuzögern: Ich bin in der Lage, unermüdlich den Raum zu halten, wenn es schwierig wird, ohne frustrierte Einmischung, damit sich die Heilungsprozesse entfalten können. (Ein sehr kraftvoller Liebesbeweis!)

Persönliche Freiheit: Ich habe ein klares Gefühl dafür, dass ich für mein Leben verantwortlich bin und wählen kann zu bleiben oder zu gehen.

Spirituelle Praxis: Ich habe einen Ort für meine existenziellen Fragen, der mich dabei unterstützt, die scheinbare Sinnlosigkeit schmerzhafter Zeiten zu überwinden und mir Orientierung gibt. So schöpfe ich Kraft für den nächsten Schritt in die von mir gewählte Richtung.

Wert der Treue: Ich schätze die Bedeutung von Treue und Verlässlichkeit, um die Sicherheit zu schaffen, die meine intime Beziehung braucht, um an Tiefe und Erfüllung zu wachsen. Nur in dieser Atmosphäre sind wir fähig uns auch wirklich verletzlich zu machen.

Guter Sinn für Humor: Ich begrüße Humor als eine gesunde Erinnerung daran, dass wir dazu neigen, uns selbst zu ernst zu nehmen. Gemeinsam herzlich Lachen zu können ist unbezahlbar, vor allem inmitten heftiger Diskussionen.

Aufrichtige Ehrlichkeit (last but not least!): Ich verpflichte mich, meine innere Realität auf liebevolle und verantwortungsvolle Weise mitzuteilen. Echte Ehrlichkeit wird uns dankbar bewusst machen, dass wir frei sind uns für oder gegen ein gemeinsames Leben zu entscheiden. Diese Freiheit ist der Schlüssel zur Aufrechterhaltung gegenseitigen Respekts und ermöglicht es, uns im Laufe der Jahre immer wieder neu ineinander zu verlieben, jedes Mal auf eine etwas andere Art und Weise, jedes Mal ein wenig tiefer.

Wenn wir das richtige Verständnis dafür haben, nicht auszuflippen, wenn es dunkel wird, wenn wir es wagen, auch in Zeiten zu lieben, in denen sich keine Gefühle zeigen, wenn wir uns selbst und unseren Partnern die Zeit und den Raum geben können, um zu heilen, dann werden wir mit jedem "hässlichen Geschwür", das wir loswerden, Wunderbares erfahren können: unsere Innenräume werden freier, unsere Nähe zueinander ehrlicher. Hier kann die Treue zueinander den entscheidenden Unterschied ausmachen, denn es schafft im Idealfall die Sicherheit, die wir brauchen, um uns so verletzlich zu machen.

Krisen gehören zu jeder gesunden Beziehung, genau wie Freude, Langeweile und Spaß. Wenn wir diese Wahrheit akzeptieren, gibt es tatäschlich ein „happily ever after“... nach jeder Krise ;)