Date

01.02.2017
Endlich frei – 8 Schritte zur Vergebung
„Groll ist wie Gift trinken und dann hoffen, dass es deine Feinde tötet.“ Nelson Mandela

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Ich bin wütend, empört, einfach sprachlos.

Mein ganzes Wesen ist in einem Schockzustand. Ich kann es einfach nicht glauben. Nur sie kannte mein Geheimnis und genau dort hatte sie es auf mich abgesehen. Was für ein abstoßender Verrat. Eine vertraute Freundin hat sich soeben als Feind entpuppt. Schlimmer kann es nicht werden.

In bewegungslose Stille gehüllt, sticht ein einziger Gedanke mit leidenschaftlicher Klarheit aus dieser emotionalen Verwüstung hervor.

Ich werde dir nie verzeihen! Nie!

Und so beginnt sich das bittere Rad zu drehen. Mit jedem nachtragenden Gedanken, mit jedem rachsüchtigen inneren Dialog gewinnt es an Schwung. Nicht ohne Genugtuung folge ich der emotionalen Schwerkraft dieser Dynamik, wohl ahnend, dass sie bald ihren Tribut fordern würde…

Egal wie viele Jahre vertrauensvoller Beziehung hinter uns liegen, mit einen Schlag vermag ich keine Wertschätzung mehr für diese Freundin zu empfinden. Es hat etwas süß Tröstliches, sie auf diese eine geschmacklose Beleidigung zu reduzieren.

Das wird nicht gut enden. Das ist ganz klar. Denn es ist anstrengend und verwandelt mich in eine bittere, reduzierte Version meiner selbst.

Aber wie können wir uns von dieser destruktiven Dynamik befreien, die so leicht zu einer Besessenheit wird?

Achtung! Die Antwort auf diese Frage tut weh:

Um uns von dieser destruktiven Bindung lösen zu können, müssen wir nämlich genau das tun, was uns in diesem Zustand am fernsten liegt: vergeben.

Vergebung erfordert eine brutal kontra-intuitive Reaktion auf die verletzende Erfahrung: die geballten Fäuste entspannen, loslassen, und den Schmerz fühlen, während man dem Drang widersteht aufzurüsten.

Wie schafft man das? Was braucht es, um loszulassen?

Diese brennende Frage veranlasste mich, die fördernden und behindernden Faktoren der Vergebung gründlich zu untersuchen und Informationen von Therapeuten aus der ganzen Welt einzuholen. Sie sind in der privilegierten Position, regelmäßig Zeugen von Menschen zu werden, die loslassen. Die Ergebnisse bestätigen, dass Vergebung ein universelles Phänomen mit größter Auswirkung auf unser Wohlbefinden ist.

Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Vergebung ein Prozess ist, der mit der bewussten Entscheidung der Verwundeten beginnt. Diese Entscheidung muss innerlich reifen und kann nicht forciert werden, ohne ihren Fortschritt zu gefährden.

Vergebung entfaltet sich in Stufen und lässt uns verändert zurück, da wir unsere inneren Realitäten modifizieren müssen, damit die schmerzhafte Erfahrung ihren sinnvollen Platz finden kann.

Es gibt einige verzerrte Ansichten über Vergebung, die ich hier ansprechen möchte.

Vergebung ist nicht Versöhnung, wie viele glauben!

Wir können einen Weg finden, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen, während wir uns entscheiden, nicht wieder mit der Person in Kontakt zu treten, die uns Unrecht getan hat.

Vergebung vorzuenthalten ist eine riskante Art, zu versuchen, sich zu rächen.
Dem Täter mag es völlig egal sein, ob wir vergeben oder nicht. Diejenige, der leiden wird, bin ich. Groll zu hegen ist eine Quelle für psychosomatische Probleme und Unzufriedenheit.

Nelson Mandela drückt es so treffend aus,

„Groll ist wie Gift trinken und dann hoffen, dass es deine Feinde tötet.“

Vergebung dient in erster Linie unserem eigenen Wohl. Wenn wir keinen Weg finden, loszulassen, bleiben wir durch eine Brücke des Hasses mit dem Täter verbunden. Je intensiver die Emotionen, desto stärker die Bindung. Vergebung ist der einzige Weg, diese "Brücke" zu sprengen, uns zu befreien und weiterzugehen.

Vergeben, ohne zuzulassen, dass das ganze Ausmaß an Schmerz und Verwüstung zum Vorschein kommt, wird als fake oder unreife Vergebung bezeichnet. "Es ist okay Schatz, ich vergebe dir!" Dieses Versprechen folgt oft viel zu schnell auf eine tiefe Verletzung und hat nichts mit tatsächlicher Vergebung, viel mehr aber mit Wegschauen zu tun. Fake Vergebung wird aber als ernsthafte Bedrohung der psychischen Gesundheit aufgeführt, da sie das Selbstwertgefühl des Opfers schwächt und eine ungesunde Situation aufrechterhält.

„Vergebung ist nur dort vollständig möglich, wo der anfängliche Groll in vollem Ausmaß eingestanden wird.“
~ J.G. Murphy (1982)

Vergebung kann harte Arbeit sein. Aber wenn man sich die reichliche Belohnung ansieht, erkennt man schnell, dass sie die Mühe wert ist:

Vergebung heilt unser verletztes Selbstbild und baut unser Selbstwertgefühl wieder auf, sie stellt inneren Frieden wieder her, macht uns stärker und weiser, steigert unsere Liebesfähigkeit und führt zu neuer Freiheit.

Das Nachdenken über diese beeindruckenden Vorteile hat sich als hilfreicher erster Schritt aus der bitteren Grube erwiesen.

Um denjenigen, die loslassen wollen, eine Orientierung zu geben, habe ich die folgende Acht-Schritte-Anleitung zur Vergebung entwickelt. Sie basiert auf wissenschaftlichen Recherchen und meiner persönlichen Erfahrung:

1) Bringe dich zuallererst in Sicherheit.

Der erste Schritt ist der heraus aus der Gefahrenzone, um sicherzustellen, dass die Verletzung der Vergangenheit angehört; Vergebung ist kaum möglich, solange wir uns in der verletzenden Situation befinden.

2) Tauche ein.

Erlaube dir, dich zu erinnern, zu fühlen und zu verstehen, was dir passiert ist. Lass alles zu. Kein Zurückhalten. Hole dir in dieser Phase alle Unterstützung, die du brauchst - einen vertrauenswürdigen Freund, einen Therapeuten, einen Coach. Es ist die schmerzhafteste Phase in diesem Prozess, in der wir leicht in unreife Vergebung abgleiten. Sei sanft, dränge dich nicht, aber sei gründlich. Das braucht Zeit, je nach Schwere des Vergehens. Aber denke daran, es ist nur eine Übergangsphase auf dem Weg zur Freiheit.

3) Ausdehnen.

Wenn nichts Neues auftaucht, alles gesagt, beweint, hinausgeschrien worden ist, dann können wir uns vorwärts bewegen und vielleicht vorsichtig versuchen, uns die Situation des Täters vorzustellen. Was könnte ihn/sie dazu veranlasst haben? Was würde einen Menschen dazu bringen, so zu handeln? Wir sind alle „Häuser mit vielen Räumen“ – wir tragen den Täter wie auch das Opfer in uns. Dies ist wichtig hier anzuerkennen, so schwierig es auch sein mag.

4) Kontaktaufnahme.

Hast du das Bedürfnis, den Täter mit der Ungerechtigkeit und dem Schmerz, den er/sie verursacht hat, zu konfrontieren? Dies kann eine sehr stärkende Erfahrung sein. Allerdings geht der Schuss nach hinten los, wenn sich das Opfer nicht stark genug fühlt, um mit einer möglicherweise verletzenden Reaktion fertig zu werden. Besprich das mit einer Vertrauensperson.

5) Ermächtigen.

Stelle dir nun die härteste aller Fragen: Könnte ich an dieser Straftat beteiligt gewesen sein? So unschuldig wir auch sein mögen, oft erkennen wir im Nachhinein, dass wir in irgendeiner Weise zu dieser verletzenden Handlung beigetragen haben. Das Verständnis der Dynamik dessen, was passiert ist, wird uns helfen, ein Gefühl von Kontrolle und Ermächtigung zurückzugewinnen.

6) Loslassen.

Wenn du an Gott oder an eine höhere Macht glaubst, kannst du versuchen darauf zu vertrauen, dass irgendwann Gerechtigkeit geschaffen wird, egal wie menschlich unmöglich dies im Moment erscheinen mag. Dieses Vertrauen hat sich bei vielen Betroffenen bewährt und den Akt des Loslassens ermöglicht.

7) Durchhalten.

Sei geduldig und halte an deiner Entscheidung fest, loszulassen und weiterzugehen. Zeit ist hier ein wichtiger Faktor. Dieser Prozess wird dich durch Höhen und Tiefen führen; manchmal wirst du dich sogar fragen, ob du überhaupt vom Fleck kommst…Dranbleiben!

8) Feiern.

Mit der Zeit wird die Intensität der Emotionen nachlassen, bis du feststellen kannst, dass der Gedanke an dieses Geschehen keine negativen Gefühle mehr auslöst. Nicht nur das, durch die Überwindung wird aus der zunächst negativen Erfahrung eine Quelle der Weisheit und Kraft.

„Die Erfahrung der Verletzung und ihre Auswirkung auf das Leben der vergebenden Person ist am Ende des Prozesses anders als zu Beginn.“
~ Malcom & Greenberg (2000)

Werde ich jemals vergessen, was diese Frau mir angetan hat? Ich glaube nicht. Aber die Erinnerung daran hat sich stark verändert. Sie hat ihre emotionale Aufladung verloren und das Erlebnis ist mit wertvollen Erkenntnissen angereichert worden.

Ich hatte sie reifer und mutiger eingeschätzt, als sie tatsächlich war, und diese Idealisierung hat dazu geführt, dass ich einige wichtige Zeichen der Vorwarnung einfach ignoriert hatte. Das war mein Anteil an dieser Beziehungskatastrophe.

Wir sind alle „Häuser mit vielen Räumen“, zerbrechliche Menschen, mit der Fähigkeit, unter bestimmten Umständen schnell vom Opfer zum Täter zu werden. Ich habe jedenfalls gelernt, besser auf meine Grenzen zu achten, und das ist möglicherweise das größte Geschenk, das aus dieser Krise kommt.

Meiner Freundin wünsche ich alles Gute und gehe weiter. Im Frieden.